// 09.03.2021

1921 bis 1930

Die Goldenen 20er?

Jubiläum
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Die 20er Jahre, oder zumindest Teile dieses Jahrzehnts, verbinden viele mit dem Glamour und Wohlstand der „Goldenen 20er“. Doch waren die 20er Jahre vor allem auch eins: Der Beginn der ersten großen Weltwirtschaftskrise. Und diese machte sich natürlich auch in Oberhausen und bei den Städtischen Werken bemerkbar.

Das E-Werk startet in das „goldene Jahrzehnt“ mit Versorgungsschwierigkeiten. Die allgemeine Verteuerung, eine Folge des Ersten Weltkriegs, und die immer weiter sinkende Qualität der zur Stromherstellung benötigen Kohlen schaden dem Betrieb. 1922 kommt es zu einer ersten großen Erhöhung der Strompreistarife. Die Tarife richten sich nämlich nach den Preisen für Kohle. Da diese im Zuge der rapiden Geldentwertung immer teurer und teurer wird, müssen auch die Stromtarife angepasst werden. Galt bisher noch eine Strompreisermäßigung für die Wirte der Stadt, müssen nun auch Gastronomen den vollen Strompreis zahlen. Ein Antrag auf Vergünstigung der Gas- und Strompreise für Erwerbslose wird von der Stadtverordnetenversammlung abgelehnt, da schichtweg zu viele Menschen unter diese Regelung fallen würden: Von 108.000 Bürgerinnen und Bürgern sind 28.000 arbeitslos, über 8.000 befinden sich in Kurzarbeit und zwei Drittel der Stadtbevölkerung erhält Erwerbslosenfürsorge. Undenkbar schwere Zeiten.

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Besetzung Oberhausens

1923 wird das gesamte Oberhausener Stadtgebiet durch französische Truppen besetzt. Als eine Reaktion auf die Besetzung stellen die Reichsbahner ihren Dienst am Oberhausener Hauptbahnhof ein. Der Betrieb wird nun in Eigenregie der französischen Besatzungsmacht weitergeführt, worauf die Eisenbahndirektion die Zahlung der Energiekosten für Strom- und Gas wegen „Höherer Gewalt“ einstellen lässt. Der amtierende Oberbürgermeister Otto Havenstein ist nun gezwungen, ab Februar die Energieversorgung des Hauptbahnhofs zu unterbrechen. Am 9. Februar wird er von den Besatzern daraufhin festgenommen und zu drei Jahren Haft verurteilt.

Gleichzeitig stehen die Städtischen Werke unter großem Druck. Die ohnehin schwer zu erhaltenden und qualitativ minderwertigen Kohlen werden knapper und knapper, da sich das E-Werk weigert, die von den französischen Besatzern eingeforderte Kohlesteuer zu zahlen. Über weite Umwege und mit großem Aufwand werden Brennstoffe aus England eingeschifft, denn die Kohle aus den Oberhausener Zechen transportieren die Besatzer direkt nach Frankreich. Oberhausen selbst sieht nichts davon.

Unter diesen widrigen Umständen muss die eigentlich geplante Erweiterung der Versorgungskapazitäten ausfallen. Ganz im Gegenteil: In Folge der Ruhrbesatzung werden zwei neu angekaufte Gleichstrom-Turbo-Generatoren aus einem stillgelegten Straßenbahnbetrieb mit je 825 Kilowatt Leistung direkt wieder verkauft. Damit die Stromversorgung aufrecht erhalten bleibt, schließen die Städtischen Werke aus der Not geboren einen Zehn-Jahres-Vertrag mit RWE über die hilfsweise Bereitstellung von 1.000 Kilowatt Drehstrom. Dieser kann jedoch nicht direkt verwendet werden, er muss zunächst über zusätzlich installierte Umformer, bestehend aus Drehstrommotor und Generator, in den benötigten Gleichstrom umgewandelt werden.

Nach der Abschottung des Hauptbahnhofs von den Netzen, kommt es am 19. September 1923 zum Undenkbaren: Das E-Werk wird von französischen Truppen eingenommen und stillgelegt.

In dieser gnadenlosen Zeit soll ein neuer Direktor, Diplom-Ingenieur Klinkhardt, das Ruder herumreißen und das Werk modernisieren. Eine denkbar unmögliche Aufgabe im Angesicht von Besetzung, fehlenden finanziellen Möglichkeiten und Materialmangel. Doch die Modernisierungen sind dringend nötig. Denn das in die Jahre gekommene E-Werk produziert noch immer den veralteten Gleichstrom, obwohl sich Drehstrom mittlerweile weltweit durchgesetzt hat – dank besserer Wirtschaftlichkeit und besserer Nutzbarkeit über weite Distanzen. Gleichzeitig beginnt im Nahen Osten der Krieg um den zukünftig wichtigsten Energieträger der Welt: Das Erdöl.

Eine neue Ära

Die Umstellung auf Drehstrom gelingt.

1924 steigt der Stromverbrauch schließlich wieder an – von rund drei Millionen Kilowattstunden Jahresverbrauch auf über 7,4 Millionen – was ob der großen Arbeitslosigkeit und herrschenden Armut eigentlich verwundert. Generell scheint es bergauf zu gehen, denn die Strom- und Gaslieferungen an den Hauptbahnhof können wiederaufgenommen werden, nachdem sich die Besatzungstruppen bereit erklären, die entstehenden Kosten zu tragen.

Ein Jahr später, 1925, tritt das E-Werk dann in eine neue Ära ein. In der Gegenwart angekommen, gelingt nun schrittweise die Umstellung des Elektrizitätswerkes auf Drehstrom. In der Maschinenhalle wird zunächst ein neues Drehstrom-Turbo-Aggregat, Bauart Thyssen-Roeder, mit einer Leistung von 3.500 Kilowatt bei 5.000 Volt Spannung und einer Frequenz von 50 Hertz aufgestellt. Zusätzlich werden auch die beiden 1.000 Kilowatt Gleichstromgeneratoren der MAN Turbine von 1914, durch einen 2.000 Kilowatt Thyssen-Drehstromgenerator ersetzt. Auch die alten Dampfkesselanlagen werden durch neue Hochleistungskessel erweitert oder ausgetauscht, außerdem noch der Kühlturm aus dem Jahre 1912 abgerissen und erneuert. Zu guter Letzt wird ein neues Schalthaus errichtet und von dort aus die Umstellung der Leitungsnetze begonnen. Zur Überbrückung werden die bestehenden Netze nun über weitere Einanker-Umformer mit Gleichstrom versorgt.  

Mit dem Abzug der letzten Soldaten am 15. August gilt die Stadt wieder als „besatzungsfrei“. Gerade rechtzeitig, denn im folgenden Jahr feiert das E-Werk sein erstes großes Jubiläum: Sein 25jähriges Bestehen.

Das erste große Jubiläum

25jähriges Bestehen.

Pünktlich zum ersten wirklich großen Geburtstag des noch jungen Elektrizitätswerkes im Jahre 1926, stehen die Zeichen auf Modernisierung und Fortschritt. Eine weitere Neuerung: Die Straßenbahn beliefert von nun an das Werk über einen Selbst-Entladewagen mit Kohle – ein technisches Novum. Um die Arbeiten zusätzlich zu erleichtern, wird auf dem Kohlenlagerplatz zudem ein fahrbarer Elektro-Greifarm mit ganzen 2,5 Tonnen Tragkraft installiert.

Da die Qualität der Kohlen wieder steigt, kann auch der Verbrauch pro erzeugter Kilowattstunde weiter sinken – von vormals 1,367 Kilogramm Kohlen auf 1,117 Kilogramm im Schnitt. Zeitweilig und je nach Güte der Kohle werden sogar Spitzenwerte von 0,93 Kilogramm Kohle pro erzeugter Kilowattstunde Strom erzielt. Die Jahresleistung des Elektrizitätswerkes beträgt nun schon stolze 13.279.520 Kilowattstunden Energie. Zur Erinnerung: Bei der der Eröffnung 25 Jahre früher, im Jahre 1901, waren das gerade einmal 900.000 Kilowattstunden. Statt 84 aktiv genutzter Hausanschlüsse zu Beginn, beziehen nun 2.050 Haushalte in Oberhausen elektrischen Strom. Das ist allerdings immer noch nicht einmal die Hälfte aller Haushalte der Stadt. Um den Fortschritt weiter voranzutreiben, werden die Strompreise auf 40 Pfennig pro Kilowattstunde gesenkt und Vergünstigungen zum Beispiel für Schaufenster- und Reklamebeleuchtung eingerichtet.

Die Kehrseite des Erfolgs: Wieder keimt der Konflikt mit dem Gasgewerbe auf, das Verluste aufgrund der Verkaufsbestrebungen des E-Werkes macht. Hinzu kommt, dass die Modernisierungen im Gesamtwert von 1,5 Millionen Euro eigentlich das Budget der Städtischen Werke übersteigen. Um die Modernisierung dennoch voranzutreiben, wird daher auf eine so genannte „Guldenanleihe“ bei der Stadt zurückgegriffen. Erst 40 Jahre später wird dieses Darlehen abgetragen sein.

1927 bleibt es zunächst positiv. Von der sich erholenden und prosperierenden Wirtschaft profitieren auch die Städtischen Werke. In Sterkrade gründet sich aus fünf ehemaligen Bergwerksgesellschaften die Kohlechemie, die spätere Ruhrchemie, wodurch nun das anfallende Gas der Kokereien genutzt werden kann. Oberhausen wird so in Bezug auf Kohle und Stahl unabhängiger. Wieder können die Werke die Preise für Strom senken: Lichtstrom wird drei Pfennig günstiger, Kraftstrom immerhin um einen Pfennig reduziert. Ein großes „Highlight“ ist die Einführung der komplett ferngesteuerten Straßenbeleuchtung sowohl für Gas- als auch für elektrische Lampen.

Talfahrt

Doch nach jedem Aufstieg geht es irgendwann auch wieder bergab. So auch bei den Städtischen Werken. 1928 geht die Umstellung der bestehenden Gleichstromnetze nur schleppend voran. Die schlechten Spannungsverhältnisse im Theaterviertel ermöglichten in den Abendstunden, bis zur Inbetriebnahme einer zusätzlichen Einspeisung, nur eine eher spärliche Beleuchtung. Weitere Rückschläge für die aufstrebenden und grundmodernisierten Werke zeichnen sich bereits ab: Erneute hohe Arbeitslosenzahlen und sogenannte „Aussperrungen“ auf den Zechen – die massenhafte Freistellung von Bergarbeitern – lassen die Stromproduktion schrumpfen.

Der „schwarze Freitag“ am 25. Oktober 1929 läutet schließlich auch in Oberhausen den Beginn der Weltwirtschaftskrise ein. Hohe Arbeitslosigkeit und der Abzug amerikanischer Kredite aus Deutschland, auf denen die heimische Wirtschaft letztlich fußt, führen in Deutschland zur Katastrophe. Ein zusätzlicher Schlag für die Städtischen Werke: Von der Gründung des neuen Groß-Oberhausens profitieren sie zunächst einmal nicht, da die Versorgung der neu eingemeindeten Gebiete RWE zufällt.

1930 ist der Stromabsatz im Vergleich zum Vorjahr um 4,37 Prozent zurückgegangen. Der Absatzverlust hat zur Folge, dass 31 der vormals 641 Mitarbeiter entlassen werden müssen. Wohnungsmangel, Arbeitslosenquote und auch die Selbstmordrate nehmen in Oberhausen erschreckende Werte an. In dieser krisengeplagten Zeit, kann die NSDAP an Macht gewinnen

Unsere Informationen sind entnommen aus: Energieversorgung Oberhausen AG (EVO) (Hg.), 2001: "100 Jahre öffentliche Stromversorgung in Oberhausen", Oberhausen.

Autor:
Sina Sitzmann s.sitzmann@evo-energie.de 0208-835 2960